Deutsch und Altnordisch sind natürlich beides germanische Sprachen, so dass mit einer gewissen Ähnlichkeit zu rechnen ist. Aber beide sind auch recht konservativ in Sachen Grammatik, so dass sie einige Gemeinsamkeiten haben, die z.B. im Englischen verloren gegangen sind. Also vergleichen wir mal alle drei Sprachen.
Alle drei Sprachen kennen den I-Umlaut. Im D setzt man dann einfach nur zwei Punkte auf den Buchstaben. Im AN ist es etwas komplizierter. Im E ist der I-Umlaut seltener geworden, aber hier ist ein Beispiel, wo man ihn noch in allen drei Sprachen sieht:
Mann/Männer
maðr/menn
man/men
D und AN haben dasselbe System von vier Fällen: Nominativ, Akkusativ, Dativ und Genitiv. Im E findet man nur noch ansatzweise Fälle, z.B. in he/his/him oder in der Besitzform mit 's.
D und AN kennen beide noch die drei indoeuropäischen Genera Maskulinum, Femininum und Neutrum. Im E erinnert eigentlich nur noch die Unterscheidung von he/she/it daran.
D und AN kennen Präpositionen, die mit Dativ einen Ort und mit Akkusativ eine Richtung bezeichnen. E trifft diese Unterscheidung entweder gar nicht oder durch unterschiedliche Präpositionen.
in einem Haus/in ein Haus
í húsi/í hús
in a house/into a house
D und AN flektieren Adjektive nach Bestimmtheitsgrad. Darin unterscheiden sie sich nicht nur von E, sondern auch z.B. vom Lateinischen.
großer Mann/der große Mann
mikill maðr/inn mikli maðr
Alles Nominativ-Singular-Maskulinum und im L würde hier immer dieselbe Adjektivform stehen, weil L bei Adjektiven keine Bestimmtheitsgrade unterscheidet.
D und AN haben nahezu dasselbe Inventar an Verbformen. Verben werden konjugiert nach Person (1., 2., 3.), Numerus (Singular, Plural), Tempus (Präsens, Präteritum) und Modus (Indikativ, Konjunktiv, Imperativ). Der größte Unterschied ist das Mediopassiv, das es im D nicht gibt.
Alle drei Sprachen kennen starke Verben mit Ablaut. Im D und E ist der Ablaut dreistufig, im AN vierstufig, da hier im Präteritum noch zwischen Singular und Plural unterschieden wird.
finden/fand/gefunden
finna/fann/fundu/fundinn
find/found/found
D und AN kennen den Konjunktiv, im AN ist er noch stärker ausgeprägt. Konjunktiv Präsens steht für erwünschte Handlungen, Präteritum für denkbare.
Hann sé víkingr.
Er sei ein Wikinger. (sollte sein)
Hann væri víkingr.
Er wäre (womöglich) ein Wikinger.
Die Gemeinsamkeiten sind Segen und Fluch zugleich. Segen, weil man die Grammatik in groben Zügen schon kennt. Fluch, weil man eine Menge Formentabellen auswendig lernen muss.